Die Erfahrung des Fliegens beschäftigte den Krieger, Autor und Entomologen Ernst Jünger ein Leben lang. 1917 meldete er sich – vergebens – zu den Luftstreitkräften. In der Weimarer Republik entwickelte er in einer Reihe von Essays das Bild des Luftkriegers, der wie kaum ein anderer die mobilisierte Welt der Arbeit und der globalen Bürgerkriege verkörperte. Die Perspektive aus großer Höhe wurde zu einem wesentlichen Bestandteil des stereoskopischen Blicks, dessen Urheber zugleich distanziert und involviert ist. 1928 gab Jünger den großformatigen, reich bebilderten, zweieinhalb Kilogramm schweren Band Luftfahrt ist not! heraus, dessen 39 Essays sich vor allem mit technischen Facetten des Fliegens beschäftigten. Im Zweiten Weltkrieg erlebte Jünger die Zerstörung großer Flächen durch das Bombardement aus der Luft. Nach 1945 zog er sich in eine verkehrsarme Region, die Schwäbische Alb, zurück; zugleich wurde er als reisender Autor zur globalen Präsenz, und das heißt schon früh: zum Vielflieger.

In einem neuen Aufsatz untersuche ich, wie Jünger über die Erfahrung des Fliegens und der Flugreise in seinem späten Tagebuchzyklus Siebzig verweht nachdenkt. Fragen der Antriebstechnik oder der Bauweise von Fluggeräten kommen bei Jünger nur sehr selten vor. Wo sie vorkommen, geht er rasch zu anderen Aspekten technischer Entwicklung über – etwa wenn er von verschiedenen Fortschritten spricht, „manchmal großen wie zum Düsenantrieb, aber auch minimalen des Komforts, der Beleuchtung, der Ersparung von Gängen und Handgrifen“.

Reichweite und Vernetzung hingegen faszinieren Jünger. Schon 1977 konstatiert er: „Zwischen den europäischen Städten entwickelt sich eine Art Vorortverkehr“ der Pendelfüge; schließlich entsteht ein „planetarischer“Verkehr. Die Verzahnung von Flügen und anderen Verkehrsmitteln, „das lückenlose System von Schaltungen“, der Technisierung, der Regelung bestaunt er während einer Flugreise auf die Seychellen, bei der es zur Zwischenlandung in London statt auf Madagaskar kommt und Jünger sich in einer portugiesischen statt der eigentlich gebuchten Schweizer Maschine wiederfndet: „Das alles ist nur durch Rechner möglich, deren Sitz kaum zu ermitteln ist – als Datenspiel zwischen verschiedenen Ländern, Kontinenten sogar. Die Möglichkeit des Einzelnen, darauf Einfuß zu nehmen, wird verschwindend gering.“

In mehreren hundert Tagebucheinträgen beschäftigt sich Jünger mit der Erfahrung dieser Technologie. Er untersucht, wie sich menschliches und tierliches Fliegen unterscheiden. Und vor allem fragt er, wie Technologie und moderne Autorschaft zusammenpassen.

Mein Aufsatz geht auf einen Vortrag an der TU Braunschweig zurück und ist nun in diesem Forschungsband enthalten. Gern stehe ich für ein Gespräch zu diesem Thema zur Verfügung.