Die Frage nach dem Thema “Literarisches Handwerk” macht klar: Es gibt zwei Berufe, die man in Deutschland nicht lernen darf. Wer sie lernt, wird schief angesehen. Ich spreche nicht von der Prostitution, allerdings nur deshalb nicht, weil ich mir nicht ganz sicher bin, ob man sie als Beruf bezeichnen sollte. Die beiden Berufe, die ich meine, sind Politiker und Schriftsteller. „Berufspolitiker“ ist ein Schimpfwort. Es suggeriert, daß dem Betreffenden die Lebens­erfahrung fehlt, die er sich in einem anderen Beruf erworben hätte. Der Politiker soll „einer von uns“ sein, soll einmal gekellnert oder im Taxi am Steuer gesessen haben, auch wenn seine spätere Tätigkeit mit Kellern oder Taxifahren wenig zu tun hat. Das ist die eine Seite der Ablehnung des Berufspolitikers. Die andere ist die Sehnsucht nach dem genialen Staatsmann mit all seiner Freiheit und seinem unbändigen Mut. Man will nicht den durch die Ränge aufge­stiegenen Fachmann mit Mandat, der sich in Gremien und immer größeren Parla­menten nach und nach die Sporen verdient hat. Denn für die Feinarbeit gibt es ja Beamte.

Ein Berufspolitiker ist aber genau das: ein Fachmann fürs Politische. Er versteht sein Handwerk. Gut in Erin­nerung sind noch Wolfgang Schäubles teils schaden­frohe, teils sorgenvolle Reden aus den Monaten nach der Regie­rungs­über­nahme durch Gerhard Schröder und Joschka Fischer. Bei Gesetzes­vor­lagen fehlten Seiten, bei Abstim­mungen erschienen die Vertreter der Regie­rungs­parteien nicht in aus­reichender Zahl, und immer wieder mußten im Interesse der Ver­fassungs­mäßigkeit Entwürfe nachge­bessert werden. „Sie können es einfach nicht“, rief Schäuble ein ums andere Mal in volle Säle. Aber dann lernten Schröder und Fischer es auch. Denn Regieren läßt sich lernen. Daß nur Beamte etwas lernen sollen, damit sie die Genialität von Politikern richtig kanalisieren, ist nicht nur wenig effizient, sondern auf Dauer brandgefährlich.

Der andere Beruf, den man um Gottes willen nicht lernen darf, ist der des Schrift­stellers, der im Extremfall „Dichter“ genannt wird. Er sollte sich unge­bunden seiner Inspiration hingeben und sich bloß nichts vorschreiben lassen. Neu soll das sein, was er schreibt, frisch und rebellisch.

Diese Einstellung ist teils noch verbreitet, aber hier deutet sich eine Verschiebung an. Zugegeben: Die Idee vom ungebun­denen und stets alles erneuernden Autor hat eine gewisse Über­zeugungs­kraft. Das Gedicht als „Augenblick der Freiheit“ haben Autoren von Ernst Jünger bis Hilde Domin, von Walt Whitman bis Joseph Brodsky wortgewaltig als uneinholbaren Anspruch in unsere Mitte gestellt. Ihre oft schwierige, oft aber auch ganz einfache Sprache stellt Gewißheiten in Frage und erlaubt uns einen neuen Blick auf das Vertraute, durch den dieses Vertraute im Idealfall für uns wieder lebendig wird.

Genau diese Erfahrung des Neuen im Vertrauten straft aber die Ideologie von der Unerlernbarkeit des Dichtens Lüge. Wer im Augenblick der Freiheit seine Mitwelt schreibend oder lesend neu erfährt, kann das nur, weil die angeblich so geniale Literatur zwei Eigenschaften hat, die sich sehr wohl lernen lassen und die eng zusammen­hängen. Es sind Weltbezug und Ver­ständ­lich­keit. Literatur wird uns unser Leben und das Leben anderer in neuem Licht zeigen, wenn sie sich auf die Welt bezieht und wenn sie verständlich ist. Diese Begriffe bedürfen der Erläuterung. Auf ihnen aufbauend möchte ich dann das Thema “literarisches Handwerk” systematisch angehen und Grundelemente einer Theorie des lite­rarischen Handwerks vorschlagen.

Wie das aussieht, habe ich in einem Beitrag für “L. Der Literaturbote” ausgeführt, der jetzt auch online beim Poetenladen einzusehen ist. Ausführlicher behandele ich die Frage nach Lyrik und Handwerk in meinem Buch Stefan George: Gedichte für Dich.

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